Projekt

Kommunikation und (Nicht-)Wissen über HIV/AIDS.
Eine diskurslinguistische Untersuchung der sprachlichen Konzeptualisierung von HIV/AIDS.

Abstract

Die Konsequenzen einer Infektion mit dem HI-Virus haben sich seit dessen Entdeckung grundlegend verändert: von einer Infektion mit tödlichem Ausgang zu einer chronischen Erkrankung. Insbesondere das Jahr 1996 markiert einen wichtigen Wendepunkt, als eine effektive Therapieform entdeckt und die HIV-Infektion somit behandelbar wurde. In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird ab da von einem ‚neuen Aids’ oder von der Phase der ‚Normalisierung’ gesprochen (vgl. Wright/Rosebrock 2012). Diese Phase ist charakterisiert durch die oben genannte Behandelbarkeit und als Folge davon auch durch eine sexuelle Nichtinfektiösität HIV-Positiver. Diese Erkenntnis der Nichtinfektiösität wurde 2008 erstmals in einem Statement der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (= EKAF) festgehalten (vgl. Vernezza et al. 2008) und ist bislang nur wenig ins kollektive Wissen über HIV/AIDS diffundiert. Ganz allgemein kann festgehalten werden, dass HIV/AIDS in der öffentlichen Wahrnehmung an Brisanz verloren hat. Auch in der geistes- und sozialwissenschaftlichen HIV/AIDS-Forschung lässt sich analog dazu eine ähnliche Interessensverteilung beobachten: Forschungsarbeiten beschäftigen sich insbesondere mit den 80er und 90er Jahren. Eine vertiefte diskursanalytische Studie zur Phase der ‚Normalisierung’ (ab 1996) dagegen fehlt.

An dieses Desiderat knüpft das Promotionsprojekt Kommunikation und (Nicht-)Wissen über HIV/AIDS an und fragt nach den Konzeptualisierungen der Infektion über den gesamten Zeitraum (1983-2014) mit einem Schwerpunkt auf der Phase der ‚Normalisierung’. Es bezieht insbesondere auch die Auswirkungen neuester medizinischer Erkenntnisse wie die Nichtinfektiösität von HIV-Positiven unter Therapie mit ein. Theoretisch-methodische Referenzfelder bilden sowohl eine deskriptiv-orientierte Diskurslinguistik (vgl. Felder 2013; Spitzmüller/Warnke 2011) als auch eine kulturanalytisch interessierte Korpuspragmatik (vgl. Felder et al. 2012). Grundlage der Analysen bilden zwei Korpora. Im diachronen Korpus (I) sind unterschiedliche Pressetexte (Leitmedien und Medien mit dem Zielpublikum MSM) für den gesamten Zeitraum 1983 bis 2014 und im synchronen Korpus (II) Texte unterschiedlicher medialer Umgebungen (Presse, Präventionsmaterial, Internetforen) für den Zeitraum nach der Publikation des EKAF-Statements (2008) versammelt. Für die Korpusanalysen werden sowohl quantitative (vgl. Bubenhofer 2009) wie auch qualitative Methoden (vgl. Felder 2012) kombiniert.

 

Literatur

Bubenhofer, Noah (2009): Sprachgebrauchsmuster. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse. Berlin: de Gruyter (= Sprache und Wissen, 4).

Felder, Ekkehard (2012): Pragma-semiotische Textarbeit und der hermeneutische Nutzen von Korpusanalysen für die linguistische Mediendiskursanalyse. In: Felder, Ekkehard/Müller, Marcus/Vogel, Friedemann (Hrsg.): Korpuspragmatik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguistischer Analysen. Berlin/New York: de Gruyter, S. 115–174 (= Linguistik – Impulse und Tendenzen, 44).

Felder, Ekkehard (2013): Linguistische Diskursanalyse im Forschungsnetzwerk Sprache und Wissen. In: Viehöver, Willy/Keller, Reiner/Schneider, Werner (Hrsg.): Diskurs – Sprache – Wissen. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Sprache und Wissen in der Diskursforschung. Wiesbaden: Springer, S. 167–198 (= Interdisziplinäre Diskursforschung).

Felder, Ekkehard/Müller, Marcus/Vogel, Friedmann (2012): Korpuspragmatik. Paradigma zwischen Handlung, Gesellschaft und Kognition. In: Felder, Ekkehard/Müller, Marcus/Vogel, Friedmann (Hrsg.): Korpuspragmatik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguistischer Analysen. Berlin/New York: de Gruyter, S. 3–30 (= Linguistik – Impulse und Tendenzen, 44).

Spitzmüller, Jürgen/Warnke, Ingo: Diskurslinguistik. eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. Berlin 2011 (= de Gruyter Studium).

Vernezza, Pietro et al. (2008): HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös. In: Schweizerische Ärztezeitung 89(5), S. 165–169.

Warnke, Ingo H. (2012): Diskursive Grenzen des Wissens – Sprachwissenschaftliche Bemerkungen zum Nichtwissen als Erfahrungslosigkeit und Unkenntnis. In: Janich, Nina/Nordmann, Alfred/Schebek, Liselotte (Hrsg.): Nichtwissenskommunikation in den Wissenschaften. Interdisziplinäre Zugänge. Frankfurt aM et al.:Lang. S. 51–69.

Wright, Michael T./Rosenbrock, Rolf (2012): Aids. Zur Normalisierung einer Infektionskrankheit. In: Albrecht, Günter/Groenenmeyer, Axel (Hrsg.): Handbuch soziale Probleme. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 195–218.