Projekt

Differente Stile einer Drohung: Eine linguistisch-stilistische Analyse rechtsextremer Drohbriefe und linksextremer Bekennerschreiben im Vergleich.

Abstract

Wie in vielen anderen Bereichen unseres Lebens, in dem ‚Stil‘ eine Rolle spielt, steht auch in Bezug auf den sprachwissenschaftlichen Stil das Spannungsfeld zwischen dem Befolgen und dem Brechen von Regeln oder Normen im Vordergrund: Während in vielen Bereichen Normgerechtheit zwar einem „guten“ Stil entspricht, verspricht gleichzeitig eine konsistente Abweichung vom Üblichen die so hochgeschätzte Individualität. In welchem Maße das Regelbrechen akzeptiert ist, hängt sowohl von der Textsorte als auch vom jeweiligen Kontext ab: im schulischen Kontext etwa wird viel Wert auf das genaue Befolgen der Regeln gelegt, während im künstlerisch-literarischen Bereich ein Normverstoß geradezu erwartet wird. In allen Fällen steht der verwendete Stil – also die Wahl bestimmter z.B. lexikalischer, grammatischer oder thematischer Varianten – in engem Zusammenhang mit den Funktionen der entsprechenden Textsorte.

Im Gegensatz zu den meisten Textsorten gibt es jedoch für illizite Texte wie Drohbriefe oder Bekennerschreiben in der öffentlichen Kommunikation kaum Textmuster, geschweige denn ein Regelwerk, an dem sich ein Autor/eine Autorin orientieren kann. Abgesehen von den wenigen und nur beispielhaften Exemplaren, die in den Medien, etwa Nachrichtensendungen oder Zeitungen einerseits sowie Kriminalromanen oder Fernsehsendungen andererseits, dargestellt werden, sind die Verfasser von Drohbriefen und Bekennerschreiben auf ihre bisherige sprachliche Sozialisation und ihr persönliches Sprachbewusstsein angewiesen. Das bisher angeeignete Textsortenwissen wird in diesen Fällen herangezogen, um die „neue“ Textsorte möglichst adäquat zu fassen. Es entsteht also ein Spannungsfeld zwischen den für diese Texte angenommenen, gedachten Normen und den individuellen sprachlichen Merkmalen und Präferenzen. Dies führt dazu, dass eine große Formvielfalt innerhalb derartiger Textsorten entsteht, insbesondere in den Fällen, in denen die Texte gewöhnlicherweise nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind und/oder die jeweiligen EmittentInnen die Rezeption ihres Textes nicht verfolgen und beurteilen können.

Das Promotionsprojekt macht sich dieses Spannungsfeld zunutze um innerhalb zweier Korpora – 115 Droh- und Schmähbriefen mit rechtsextremen, sowie 50 Bekennerschreiben und Positionspapieren mit linksextremen Inhalten – diese Formvielfalt in Gestalt verschiedener Stilausprägungen zu identifizieren und zu beschreiben. Da es sich bei dem untersuchten Datenmaterial um authentische, vom Bundeskriminalamt zur Verfügung gestellte Texte handelt, wurde die Analysemethode an die der Autorenanalyse (vgl. u.a. McMenamin 2010) angelehnt. Die in der Autorenanalyse angewandte Forensische Stilistik nimmt, im Gegensatz zur klassischen linguistischen Stilanalyse, deren Zentrum das Verhältnis von sprachlichem Mittel und Textsorte darstellt, stärker die autorenspezifischen Merkmale in den Blick, anhand derer die Autorschaft eines Textes untersucht werden kann. So sind „[t]extsortentypische und handlungstypische Formulierungen [für die Autorenanalyse] nur von relativer Aussagekraft, da sie überindividuell in vergleichbarer Form auftreten bzw. gleichsam eine Vorgabe der Textsorte an den Produzenten sind“ (Fobbe 2011: 72).

Im Rahmen des Dissertationsprojekts wird daher versucht, all jene sprachlichen Merkmale zu identifizieren, die nicht zwangsläufig nur dem Autor zugeschrieben werden können, sondern die sich primär als übergreifendes Spezifikum einer vom Autor bewusst oder unbewusst gewählten Stilausprägung manifestieren. Die hierfür untersuchten Variablen entstammen allen linguistischen Ebenen und reichen von Layout über lexikalische und grammatische Mittel bis hin zu Merkmalen der Interpunktion und Orthografie. Anhand dieser Variablen sollen die Texte mithilfe einer Art Clusteranalyse gruppiert und gegeneinander abgegrenzt werden. 

Obgleich die zwei untersuchten Korpora zwei scheinbar völlig verschiedene Textsorten repräsentieren (vgl. Ehrhardt 2017: 552ff) zeigen die analysierten Texte in bisherigen, exemplarischen Untersuchungen trotz ihrer ideologischen und funktionalen Diskrepanzen nicht nur Unterschiede sondern auch einige stilistische Überschneidungen, wobei die rechtsextremen Droh- und Schmähbriefe ein deutlich breiteres stilistisches Spektrum abbilden, wohingegen die Textsammlung der Selbstbezichtigungsschreiben stilistisch deutlich homogener zu sein scheint. Die Betrachtung der Relation zwischen stilistischen Parallelen und individuellen Merkmalen kann nicht nur dem besseren linguistischen Verständnis und einer distinktiveren Definition dieser Textsorten und ihrer Subtypen dienen sondern stellt darüber hinaus eine Grundlage und Hilfestellung für zukünftige Typisierungen forensischer Texte in der polizeilichen Praxis dar.

Literatur

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